Di. Mrz 19th, 2024

Die Sprachwissenschaftlerin und apl. Professorin Dr. Kirsten Schindler über respektvolle und zielführende Sprache – und Probleme in der aktuellen Diskussionskultur zum Thema Gendern.

Gendersensible Sprache setzt sich immer mehr durch. Genderstern, Gender-Gap oder Gender-Doppelpunkt – aktuell gibt es viele Varianten geschlechtergerechter Sprache. Der Online-Duden hat inzwischen zum Beispiel den Begriff Gästin aufgenommen und damit nicht nur Lob, sondern auch Kritik auf sich gezogen. Die außerplanmäßige Professorin Dr. Kirsten Schindler vom Institut für deutsche Sprache und Literatur II an der Universität zu Köln nimmt Stellung zur aktuellen Diskussion um gendergerechte Sprache.

Professorin Dr. Kirsten Schindler: „Die Diskussion um die Frage, ob und wie sich in der Sprache das Geschlecht von Personen abbildet, ist nicht neu. Vergleichsweise neu ist aber, dass nach vielen Jahrzehnten der Bemühungen um eine – auch sprachlich – stärkere Sichtbarmachung von Frauen, in den letzten Jahren vermehrt Anstrengungen unternommen wurden, Formen zu finden, um auch Menschen zu adressieren, die sich nicht einem der beiden Geschlechter Mann oder Frau zuordnen lassen oder wollen. Spätestens mit der Veränderung des Personenstandsgesetzes (2017, ratifiziert 2018) und der Möglichkeit neben männlich und weiblich noch die Form divers ins Geburtenregister einzutragen, hat die Diskussion an Relevanz zugenommen. Der Wunsch, alle Menschen so zu adressieren, dass sie sich angesprochen fühlen, entspringt dabei ganz grundsätzlich der Haltung einer respektvollen und zielführenden Kommunikation.

Kontrovers ist aber sicher die Frage, welche Form bzw. Formen dafür in besonderer Weise geeignet ist bzw. sind. Der Rat für deutsche Rechtschreibung setzt sich in seiner 2017 eingerichteten Arbeitsgruppe intensiv für forschungsbasierte Empfehlungen ein, die neben sprachsystematischen Überlegungen auch Fragen der Nutzungsart und Frequenz bestimmter Formen (zum Beispiel Beidnennungen, Genderstern und andere) berücksichtigen. Neben grundlegenden Kriterien, die zum Beispiel Verständlichkeit und Lesbarkeit, Rechtssicherheit und Eindeutigkeit betreffen, geht es in diesen Empfehlungen auch um orthografische Fragen sowie stilistische und grammatisch-syntaktische Strategien; letztere sind insbesondere für das Schreiben von behördlichen Texten, die Kommunikation in öffentlichen Räumen, Pressetexte etc. von Bedeutung – sie betreffen grundsätzlich nicht das private Sprechen und Schreiben. Finale Entscheidungen für einzelne (und damit zugleich gegen andere) dieser Sprachformen sind bislang nicht getroffen bzw. noch nicht im Amtlichen Regelwerk festgelegt worden (https://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_2018-11-28_anlage_3_bericht_ag_geschlechterger_schreibung.pdf). Dieses Abwarten ist verständlich, schafft aber auch Unsicherheit.

Der Vorstoß des Dudens, sogenannte generische Formen (insbesondere das generische Maskulinum) ganz grundsätzlich in Frage zu stellen, geht über die bisherigen Empfehlungen hinaus. Bislang stellt die generische Verwendung von maskulinen Substantiven, die Personen bezeichnen, eine durchaus noch übliche (wenn auch kritisierte) Möglichkeit dar. Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: Der Ausdruck „Lehrer“ könnte dann einen männlichen Lehrer, eine weibliche Lehrerin oder eine Lehrkraft bezeichnen, bei der das Geschlecht entweder nicht bekannt, nicht der Zweigeschlechtlichkeit zuzuordnen oder irrelevant ist. „Lehrer“ in seiner generischen Verwendung soll dann auf die Kategorie (also zum Beispiel die Rolle einer Lehrkraft im Unterricht) verweisen. Schwierig am generischen Maskulinum ist seine Mehrfachbedeutung, das heißt die sprachliche Information, ob „Lehrer“ nun generisch oder geschlechtsspezifisch verwendet wird (also nur männliche Lehrkräfte meint), ist unklar. Das generische Maskulinum ist aus sprachhistorischer Perspektive übrigens ebenfalls vergleichsweise ‚neu‘ und wird in der oben beschriebenen Nutzung erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet. In älteren Grammatiken finden sich vor allem geschlechtsspezifische Benennungen, wie Professorin Dr. Ursula Doleschal eindrücklich gezeigt hat. Dabei spielten auch gesellschaftliche Bedingungen eine Rolle. Viele der ausschließlich männlichen Berufsbezeichnungen zeigen, dass Frauen gar nicht die Möglichkeit hatten, diese Berufe auszuüben; etwas, das sich ja glücklicherweise geändert hat.

„Gästin“, wie vom Duden vorgeschlagen und in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert, wäre dann das weibliche Pendant zu dem nur noch ausschließlich männliche Besucher bezeichnenden „Gast“. Damit wird einerseits die weibliche Form gestärkt und das generische Maskulinum abgelehnt, zugleich werden zwei Formen vorgeschlagen, die die Zweigeschlechtlichkeit betonen. Die Ableitung Gästin ist dabei durchaus nicht neu. Professor Dr. Henning Lobin, Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, verweist zurecht auf den Eintrag im Grimm‘schen Wörterbuch, also auf eine Verwendung, die mindestens ins 19. Jahrhundert zurückweist. Gästin war und wird bislang nicht häufig verwendet und erscheint den meisten vermutlich ungewohnt und irritierend. Andersherum: Bei „Gast“ ist die generische Verwendung momentan noch so etabliert, dass eine ausschließlich männliche Lesart eher unwahrscheinlich ist.

Der Vorschlag „Gästin“ erscheint aus den angegebenen Gründen daher noch nicht gänzlich überzeugend, zudem macht der Vorschlag auf ein Problem aufmerksam, das die Debatte um geschlechtergerechte Sprache zurzeit stark bestimmt. Neben Einzelnen, die geschlechtergerechte Sprache weiterentwickeln und systematisch nutzen, diese Nutzung aber auch von anderen einfordern, stehen andere, die solchen – teils sehr gravierenden – Änderungen in der Sprache gegenüber skeptisch sind. Trotz jeweils wichtiger Argumente lässt sich eine oftmals ungute Diskussion wahrnehmen, der einerseits Sexismus, andererseits „Genderwahn“ unterstellt wird. Damit wird die wichtige Debatte um eine inkludierende Sprache, das gemeinsame Finden und Diskutieren dafür geeigneter Formen teils überdeckt.“

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