Fr. Apr 26th, 2024

Deutschland Zentrum eines Weltreiches
Politisches System, Krisenkonferenzen und Kriegsentschluss vor 1914

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Bernd F. Schulte

Hamburger Studien zu Geschichte & Zeitgeschehen
Reihe II/ Band 4

Vorbemerkung

Die “Hamburger Studien zu Geschichte und Zeitgeschehen” bieten nun in der Reihe II einen Abschluß von 40 Jahren Forschung am Thema Erster Weltkrieg. Hier geht es zunächst um den Weg der europäischen Staaten in den Krieg von 1914.

Über 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, und dem Friedensvertrag von Versailles, wird, vor allem international, verstärkt über dessen Anlaß und tiefere Ursachen diskutiert. Von der Denkschrift des Legationsrates an der Kaiserlichen Botschaft in Wien – Dietrich von Bethmann Hollweg für den Reichskanzler, aus dem Juni 1914 ausgehend, erweitert sich der Blick auf die besondere wirtschaftliche und militärische Schwäche Österreich-Ungarns, als auslösender Faktor für den finalen Entschluß zur Risikopolitik des Deutschen Reichs im Juli 1914. Neben der Tatsache, dass, angesichts des verlorenen Nachlasses des Kanzlers Theobald von Bethmann Hollweg, jedes Stück Papier zu 1914 von besonderem Wert ist, macht diese Denkschrift verständlich, dass der Reichskanzler, nach dem gefälschten Riezler-Tagebuch (Die Verfälschung der Riezler Tagebücher, Frankfurt-Bern-New York 1985; Pierre Barral, Rezension zu B.F.Schulte, Weltmacht durch die Hintertür, in: Revue historique 2005), derartig verschwommen, unheilvolle Äußerungen tätigen konnte, als er am 5. Juli 1914, unter den Linden von Hohenfinow, mit seinem Assistenten Kurt Riezler, den Tag der Entscheidung ausklingen ließ.

Der Entschluß war da, der Stein im Rollen. Vor welchem weltanschaulichen Spektrum es zu diesem Schritt kam, zeigt ein Blick auf den Briefwechsel zwischen Theobald von Bethmann Hollweg und dem Universalhistoriker Karl Lamprecht, dessen Schulfreund. Es wird entwickelt, wie Deutschland ungebrochen – auch nach 1909 – Weltmacht werden wollte. Es war die Intention, dass, in einer Stufenfolge von zunehmender Intensität, Rußland von England und Frankreich zu trennen sei; und England auf Deutschland zuzuzwingen wäre (Bethmann Hollweg, Febr. 1911). Das Band nach Westen werde darauf Deutschland Bewegungsspielraum für weitere weltumspannende Aktivität eröffnen.

Erst im Krieg (während des Winters 1914/15; Bethmanns einsames Weihnachtsfest an der Front) wurde dann deutlich, dass dieses Ziel ausschließlich durch den Sieg über England zu erreichen wäre (Scheitern der Vorkriegspolitik, 1909-14). Nun, mit dem Appell an die Waffen, bedingte diese Erkenntnis ein komplettes “renversement des frontières” der Grundausrichtung Bethmannscher Außenpolitik. Zuvor sollte, nach dem Leipziger Historiker Karl Lamprecht, durch wirtschaftliche Kulturpolitik, durch den Zusammenschluß eines um Deutschland gravitierenden Europa mit China (damals 400.000 Millionen und genauso wichtig wie der Mitteleuropa-Plan Bethmanns, Naumanns, Rathenaus), der Aufstieg des europäischen Kulturraumes zur Weltmacht (gegen, oder in Nachfolge auf, England) gelingen.

Im Krieg ging dann Lamprecht, im Auftrage des Kanzlers, nach Belgien – um hier das Zentralproblem eines künftigen, gegen das Inselreich gerichteten, Europa unter deutscher Führung zu explorieren. Hier, am Kanal, entschied sich der Machtkampf mit London. So die Erkenntnis Moltkes (Febr. 1913), Tirpitz’ und Bethmanns. Eine belgische Küste in deutscher Hand würde das Britische Empire nicht ertragen (Moltke). Darin waren sich in Berlin General- und Admiralstab (Armee und Flotte) einig. Dahin zielte – in seltener Einmütigkeit – der bislang als militaristisch apostrophierte deutsche Aufmarsch- bzw. Kriegsplan seit spätestens 1903/04. Das hier aufgedeckte System der Krisenkonferenzen, in der politischen Entscheidungsfindung in Berlin, gibt Aufschluss über diesen Weg in den Krieg.

Keinesfalls ohne Vorstellungen gingen demnach die deutsche Führungseliten aus Wirtschaft, Politik und Militär (Fritz Fischer, Bündnis der Eliten, 1978) in den Krieg von 1914. Die Gewißheit herrschte, dieser werde kommen. Eine andere Form der Entscheidung wurde in dieser Welt von Gestern – in einer Art Betriebsblindheit – nicht gesehen. Der Erste Weltkrieg: lediglich Fehlkalkulation oder wohlüberlegter, gescheiterter Plan? Wirtschaftsrivalität (so schweizerische Diplomaten vor 1914), Hochrüstung, Polykratie der Entscheidungsträger, überholte gesellschaftliche Strukturen, in Deutschland und Berlin, sollen dafür zusätzlich verantwortlich gewesen sein.

Stand etwa ein großer Wurf eher dahinter, ein übergreifendes Bild, von Rang und Bedeutung, des Deutschen Reichs in der Zukunft? Nach den Ausführungen des engen Beraters Bethmann Hollwegs, des Universalhistorikers, und Freundes aus Schülertagen, Karl Lamprecht (Leipzig), könnte dies Tatsache gewesen sein. Die politisch Verantwortlichen in Berlin scheinen, anders als etwa Goebbels und Hitler das verstanden, durchaus mit begründeten Vorstellungen, von der deutschen und internationalen Politik, ja, von einem philosophischen Überbau aus, in die Krise des Jahres 1914 gegangen zu sein.

Es schält sich hier heraus, dass der eigentliche Gegner des Deutschen Reichs im Weltkrieg, Großbritannien war. Dies macht die Epochenscheide dieses ersten universalen Krieges aus.[…]

Dr. Bernd F. Schulte
Abteilung Geschichte & Zeitgeschehen, Wölfelsdorfer Ring 5, 31224 Peine

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