Fr. Apr 19th, 2024

Jeder kennt wohl die Legende: Nixen oder Meerjungfrauen lieben es, bei Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang auf einem Felsen im Wasser zu sitzen, ihr Haar zu kämmen und dabei zu singen. Sie haben wunderschöne Stimmen, ihr Gesang verzaubert und hat schon so manchen Fischer in seinen Bann gezogen. Viele konnten nicht widerstehen und folgten dem Gesang, immer weiter hinaus in die tiefen Gewässer.

Leseprobe
Der Ruf der Meerjungfrauen
„Schau mal Großmutter, was ich gefunden habe!“
Aufgeregt lief ich zu ihr durch den warmen Sand. Seit gut einer Woche machten wir Urlaub an der See, meine Eltern, Großmutter, die Zwillinge und ich. Großmutter hatte es sich auf einem Klappstuhl bequem gemacht und trug einen überdimensionalen Strohhut. Wegen der Sonne, sagte sie. Jedenfalls konnte ich sie so nicht verwechseln. Jetzt betrachtete sie aufmerksam den seltsam geformten hellen Stein mit dem Loch in der Mitte.
„Das ist ein Hühnergott“, sagte sie. „Siehst du das Loch in der Mitte? Es heißt, wenn man bei Sonnenaufgang oder bei Sonnenuntergang den Stein vor sein Auge hält und durch das Loch aufs Meer hinaus schaut, dann sieht man die Meerjungfrauen tanzen.“
„Warum heißt der Stein denn Hühnergott?“, wollte ich wissen.
„Nun, früher glaubten die Menschen, dass die Hühner mehr Eier legen würden, wenn man ihnen solch einen Lochstein ins Nest legt. Auch heute noch glauben viele daran, dass dieser Stein Heilkräfte hat und manche tragen ihn als Glücksbringer an einem Lederband um den Hals. Wenn er klein genug dazu ist.“
Lächelnd schaute sie auf den recht großen Stein in meiner Hand. Nein, um den Hals wollte ich den nicht binden.
„Erzählst du mir von den Meerjungfrauen?“, bat ich Großmutter.
Sie hatte mir schon viele Geschichten über die Naturwesen erzählt, über Kobolde und Elfen, sogar über Feen, aber noch nie etwas über Meerjungfrauen. Großmutter schaute zu den Zwillingen, die bauten friedlich an einer Sandburg. Nicht immer vertrugen Max und Lily sich gut, oftmals gab es auch Streit und Geschrei. Erwartungsvoll ließ ich mich im Sand zu Omas Füßen nieder und betrachtete nachdenklich den Hühnergott.
„Nun, die Meerjungfrauen leben tief unten im Meer, sie kommen nur selten, meist in Vollmondnächten aus den Tiefen hervor. Auch die Nixen zählen zu den Meerjungfrauen. Manche von ihnen sind auch in tieferen Seen oder Flüssen zu Hause. Nixen lieben es, bei Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang auf einem Felsen im Wasser zu sitzen, ihr Haar zu kämmen und dabei zu singen. Sie haben wunderschöne Stimmen, ihr Gesang verzaubert und hat schon so manchen Fischer in seinen Bann gezogen. Viele konnten nicht widerstehen und folgten dem Gesang, immer weiter hinaus in die tiefen Gewässer. Man hat sie nie wieder gesehen. Manchmal fand man ein leeres Boot, manchmal nicht einmal das. Man sagt, wer einmal dem Ruf der Meerjungfrauen gefolgt ist, den gibt das Meer nie wieder her. Er muss ihnen in ihr Reich folgen, dort unten im tiefen dunklen Wasser, wo kein Mensch überleben kann.“
Mir lief ein Schauder über den Rücken. Diese Geschichte war anders als Großmutters sonstige Erzählungen, sie war unheimlich.
„Die Meerjungfrauen sind böse. Warum tun sie so etwas?“, fragte ich.
„Nein, Axana, sie sind nicht böse. Sie sind nur verspielt und leichtsinnig, wie fast alle Naturgeister. Sie können gar nicht verstehen, was sie da eigentlich tun, denn sie haben eine ganz andere Sichtweise als wir.“
Ich dachte an die lustigen Kobolde, die auch manchmal etwas Unüberlegtes taten und damit ein Chaos anrichteten. Auch sie wollten niemandem schaden, wenn sie ihren Schabernack trieben. Sicher, es war ärgerlich, wenn sie plötzlich einen Socken oder einen Schlüssel verschwinden und woanders wieder auftauchen ließen. Aber ein Zusammentreffen mit den Meerjungfrauen oder Nixen schien mir weitaus gefährlicher zu sein.
„Tun die Nixen auch irgendetwas Gutes, Großmutter?“, forschte ich nach.
„Aber sicher tun sie das. Sie sind die Hüterinnen der Unterwasserwelten. Ihnen untersteht das Reich der Fische und Meerestiere ebenso wie das der Wasserpflanzen. Sie sorgen dafür, dass alles seine Ordnung hat. Und da ist noch etwas …“ Sie zwinkerte mir lustig zu.
„Was denn Großmutter?“
Ich hatte mit glühenden Wangen zugehört. Großmutter konnte so spannende Geschichten erzählen.
„Nun, wenn du solch einen Lochstein gefunden hast, dann kannst du dir etwas wünschen und den Stein weit ins Meer hineinwerfen. Man sagt, dass die Meerjungfrauen einen Wunsch, der wirklich von Herzen kommt, erfüllen.“

Weitere Geschichten über Elfen, Feen, Einhörner und andere mystische Wesen findet ihr in dem Buch Geschichten aus dem Reich der Hexen, Elfen und Kobolde
ISBN-13: 978-3735790729

©byChristine Erdic

Firmeninformation
Die deutsche Buchautorin Christine Erdic lebt zur Zeit hauptsächlich in der Türkei.
Beruflich unterrichtet sie in der Türkei Deutsch für Schüler (Nachhilfe), sie gab
Sprachtraining an der Uni und machte Übersetzungen für türkische Zeitungen.

Christine Erdic
35050 Izmir
Türkei

indiansummer_61@hotmail.com

http://christineerdic.jimdo.com

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